Regula Wyss

Pfarrer als Vermittler ökonomischen Wissens?

Die Rolle der Pfarrer in der Oekonomischen Gesellschaft Bern im 18. Jahrhundert

Band 8 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Regionalgeschichte

Rezension


"Dass die Anweisung kurz und ohne gelehrtenkram vorgetragen werde." (S. 140) Einen solchen Schreibstil erachtete David Ris, Pfarrer in Trachselwald und zugleich Sekretär der Emmentaler Zweiggesellschaft der Berner Oekonomischen Gesellschaft, für notwendig, um mit Wissen zur Haus- und Landwirtschaft auf Kalenderblättern die ländliche Bevölkerung ansprechen und überhaupt erreichen zu können. Die Einschätzung des Pfarrers, 1767 formuliert in einem Brief an den Sekretär der Berner Gesellschaft, Niklaus Emanuel Tscharner, lässt durchblicken, dass hier ein Problem vorlag.

Regulä Wyss untersucht in ihrem aus einer Lizentiatsarbeit am Historischen Institut der Universität Bern hervorgegangenen Buch die Rolle der Pfarrer in der 1759 von Berner Patriziern gegründeten Oekonomischen Gesellschaft (OeG). Nach einem einleitenden Teil skizziert Wyss die Organisation der Berner Kirche sowie die Ausbildung und den Alltag der ländlichen Pfarrerschaft im 18. Jahrhundert. Ein längerer allgemeiner Abschnitt ist der Entwicklung und dem Programm der OeG gewidmet, ehe die Autorin sich dann den Pfarrern in der OeG im Speziellen zuwendet. Mittels einer eingehenden Analyse gedruckter und ungedruckter Akten und Abhandlungen der OeG kann die Autorin verschiedene Profile der Mitarbeit aufzeigen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Pfarrer besonders in der Anfangszeit - und damit zugleich in einer "Blütezeit" - der Gesellschaft bis Mitte der 1760erJahre zahlreich mit der OeG in Kontakt traten. Die ordentlichen Mitglieder der OeG stammten meistens aus dem reformorientierten Patriziat, waren Amtsträger, Gelehrte oder eben Pfarrer. Der Hintergrund der Konstituierung der OeG ist die Sozietätenbewegung im 18. Jahrhundert. Die Berner OeG figuriert unter den ersten Sozietäten auf dem europäischen Festland und unterstreicht damit die Bedeutung der Schweiz als Standort der Aufklärung. Auf den ersten Blick mag es heute verwundern, wenn sich besonders Pfarrer in einer Aufklärungsgesellschaft engagierten, deren Ziel es war, ökonomische Reformen zu initiieren. Wie Regula Wyss indes zu Recht betont, wurden Ökonomie und Sittlichkeit, die eigentliche Domäne der Geistlichkeit, eben im 18. Jahrhundert noch nicht getrennt gedacht. Vielmehr sahen weltliche wie geistliche Rezipienten der Aufklärung einen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Produktivität im häuslichen Mikro- wie im gesellschaftlichen Makrobereich und der - per se immer defizitären bzw. gefährdeten - Moral der Akteurinnen und Akteure.

Pfarrer gelten in der Forschung seit längerem als Protagonisten der Volksaufklärung, gleichwohl dies bislang konkret noch relativ wenig untersucht wurde. Relevant auch im säkularen Sinne der Aufklärung ist der Ansatz einer Erziehung zur Offenheit für Innovationen und, damit in einem engen Konnex, auch zu einer Kritik an bis dato unhinterfragter Traditionsverharrung. Aufgrund ihrer allgemeinen Rolle als Verkündiger sowohl des Evangeliums wie auch der obrigkeitlichen Verordnungen galten Pfarrer als naturgemäße Belehrer des "Volks". Im Prinzip ging es bereits im 18. Jahrhundert um Fragen, die sich seither immer wieder gestellt haben, nämlich erstens die geeignete Art und Weise der Vermittlung eines Wissens, das aus einer Elitenkultur stammte in breiteren Schichten, und zweitens, damals eher implizit, die generelle Wünschbarkeit dieser Wissensvermittlung. Man kann die Schwierigkeiten der Volksaufklärung, die ziemlich genau in der Zeit der Gründung der OeG einsetzte, heute amüsiert zur Kenntnis nehmen. Aus den Vorstellungen der Akteure der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist sie jedenfalls nicht wegzudenken. Relevant für die hier betrachtete Phase ist, dass es noch keineswegs um die politische Emanzipation der Untertanen ging, sondern um eine Vermehrung von "Nützlichkeit" und "Glückseligkeit", die in gelehrter Manier vordefiniert wurde, sich primär aber auf ein wirtschaftliches Wohlergehen bezog, das auch den Adressaten nicht egal sein konnte. Patrizier und Geistliche gingen einig: "Der Landbau sollte wohl optimiert werden, aber an der ständischen Ordnung sollte [ ... ] nicht gerüttelt werden." (S. 110) Die Intentionen der beteiligten Pfarrer kann Wyss insbesondere anhand der überlieferten Korrespondenz näher fokussieren. Wichtig für die Ausgangssituation ist noch, dass die Berner Landpfarrer vielfach selber ihr karges Pfrundgut wie Bauern beackerten und finanziell nicht besonders gut gestellt waren. Dennoch, daran lässt die Autorin keinen Zweifel, bestand zwischen der Dorfbevölkerung und den studierten Pfarrern städtischer Herkunft als Teil der Obrigkeit eine nicht geringe soziale Distanz (S. 33).

Wiederkehrende Themen in den Berichten und Briefen der Landpfarrer waren die Aufteilung der Allmende, der Anbau neuer Kulturen und neue Anbaumethoden, der Stand der Technik, Handwerk und Manufakturen, Armut und Bevölkerungsentwicklung sowie Klagen über die Trägheit der bäuerlichen Bevölkerung hinsichtlich aller Innovationen. Eine wichtige Aufgabe, bei der die aktive Mitarbeit der Dorfbewohner weniger notwendig war, stellte zudem die Anfertigung topographischer Beschreibungen der Kirchgemeinden dar. Auch meteorologische Beobachtungen wurden an die OeG übermittelt. Bemerkenswerterweise wird bei allen Klagen selten darüber reflektiert, wie sich ein Verhaltenswandel der dörflichen Bevölkerung bewirken lässt.

Es ist nicht zu übersehen, dass das innovationsresistente Verhalten der Adressaten durchaus eine eigene Rationalität aufweist. So bemerkt auch Wyss: "Für Bauern, die Zehntabgaben leisten mussten, war es zu riskant auf Anbaumethoden mit ungewissem Erfolg zu setzen, wenn die bewährten Methoden bisher genügend Abtrag einbrachten." (S. 137) Die konkreten Auswirkungen der Innovationsversuche der Pfarrer "im Auftrag" der OeG vor Ort schätzt die Autorin denn auch gering ein. Mit anderen Worten, zu einem wirklichen Wissenstransfer von oben nach unten ist es wohl nicht gekommen. Indes gelangten durchaus mehr Informationen im Stile einer Landesbeschreibung aus der lokalen Sphäre in die gelehrten Zirkel. Dieser Effekt ist nicht zu unterschätzen. Plausibel wirkt die abschließend formulierte These der Autorin, den Geistlichen sei es primär darum gegangen, an einem patrizisch-gelehrten Reformdiskurs teilzunehmen, der sich mit der OeG ein geeignetes Forum geschaffen hatte (S 147).

Regula Wyss hat eine sehr substanzielle Studie vorgelegt, die dem Bild vom Wirken der Pfarrer im ländlichen Kontext während der Hochaufklärung einige neue Konturen verleiht. Kritisch wäre anzumerken, dass man zentrale Begriffe in den Texten der Pfarrer und der OeG wie "Nützlichkeit", "Glückseligkeit" oder auch "Müßiggang" stärker auf ihre Bedeutung im Diskurs der Aufklärung hin kontextualisieren könnte. Hier wird manchmal auch nicht exakt zwischen Quellensprache und kategorialer Begrifflichkeit unterschieden. Trotz dieser kleinen Einschränkung zeigt dieses Buch, dass von der weiteren Erforschung der Berner OeG noch viel Ersprießliches für die Forschung zu erwarten ist.

Joachim Eibach


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