Johannes Büttner und Hans Dietrich Bruhn

Chemisches Denken in der Medizin.

Die Geschichte des Laboratoriums der
1. Medizinischen Klinik der Universität Kiel

Edition Lewicki - Büttner, Band 3.1

Rezension


Das vorliegende Buch, ein erster Band, umfasst vor allem die Laborgeschichte der medizinischen Universitätsklinik in der Ära der Direktoren Schittenhelm (1915-1934 Klinikleiter), Johannes Löhr (1934-1941) und Helmuth Reinwein (1942-1962). Geplant ist ein Band 2, der von Hans-Dietrich Bruhn vorgelegt werden wird und die Geschichte dieses Labors bis auf den heutigen Tag fortsetzt. Das Buch gewinnt durch die Tatsache, dass Johannes Büttner nicht nur Jahrzehnte als Professor für klinische Chemie lehrte und forschte, sondern auch ein Experte der Medizingeschichte ist, die sich mit der naturwissenschaftlich-technischen Entwicklung der letzten 150 Jahre befasst. Eine Voraussetzung der experimentellen Forschung war die Entwicklung der Chemie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Parallel zum Fortschritt von Chemie und Physik entstand eine Vielfalt neuer Messgeräte. Bereits um 1919 konnten Reststickstoff und Blutzucker bestimmt werden. Wissenschaftlich beschäftigten sich Schittenhelm und seine Schüler u. a. mit der Ödemkrankheit nach dem Ersten Weltkrieg. Weitere Forschungsgebiete betrafen Vitamine und Schilddrüsenhormone. Unter Johannes Löhr wurde vor allem der Jodstoffwechsel untersucht. Durch seine politischen Aktivitäten ging allerdings, wie der Autor zeigt, die experimentelle Forschung im Kieler Labor zurück. Wichtig wurden linientreue Mitarbeiter. Dazu zitiert Büttner einen Brief Lührs an Schittenhelm über seinen Mitarbeiter Chrometzka: "Chrometzka ... war mir als überzeugter Kathole und im Hinblick auf seine sonstige politische Vergangenheit nicht der geeignete Mann, bei mir Oberarzt zu werden."

Während der Zeit Helmuth Reinweins wurde die Klinik mehrfach durch Bomben schwer geschädigt, wie das beeindruckende Bildmaterial belegt. Johannes Büttner schildert plastisch den Wiederaufbau der Klinik und die weitere Entwicklung des Labors, das er von 1956 bis zu seiner Berufung 1969 nach Hannover leitete. Anfang der 1960er Jahre wurde es z. B. möglich, mithilfe der Flammenphotometrie Kalium, Natrium und Calcium schnell zu bestimmen. Gleichzeitig wurde vielfältig geforscht. So beschäftigten sich Büttner und sein Arbeitskreis u. a. mit der Pharmakokinetik, d. h. mit dem Schicksal der Pharmaka im Organismus. Entsprechend den Interessen Reinweins wurde die diabetologische und endokrinologische Forschung besonders gepflegt. Ein Kapitel des Buches heißt: "Die Kieler Medizinische Klinik in der Zeit des Nationalsozialismus". Es ist ein besonderes Verdienst des Autors, die Verstrickung in den Nationalsozialismus nicht verdrängt zu haben: Alfred Schittenhelm war seit 1933 Parteimitglied und seit 1938 Standartenführer der SS, Johannes Lühr trat als "Alter Kämpfer" bereits 1931 der NSDAP bei. Er leitete das "Rassenpolitische Amt" in Schleswig-Holstein und wurde SS-Brigadeführer auch Helmuth Reinwein wurde 1937 Parteimitglied. Das Buch regt zu Fragen an: Wenn nicht die Klarheit und Schönheit der Naturwissenschaften vor der Huldigung des Nationalsozialismus' bewahrten, was dann? Waren es elementarer Anstand und Menschlichkeit, die kein akademisches Studium benötigen? Und zweitens: Braucht der ständige Fortschritt der naturwissenschaftlich-technischen Diagnostik mehr kritische ärztliche Überlegungen im Sinne Reinweins, damit es nicht zu einer Überdiagnostik irrelevanter Befunde und zu einer ausufernden Medikalisierung des täglichen Lebens kommt? Der Rezensent empfiehlt die Lektüre des besprochenen Bandes auch deshalb, weil er am Beispiel eines lokalen Kieler Kliniklabors die Entwicklung der modernen Medizin aufzeigt.

Prof. Dr. Karlheinz Engelhardt, Kiel


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