Hamid Reza Yousefi / Klaus Fischer / Ina Braun / Wolfgang Gantke (Hrsg.)

Wege zur Religionswissenschaft

Eine interkulturelle Orientierung

Aspekte, Grundprobleme, Ergänzende Perspektiven

Rezension


Der Sammelband beginnt mit einer gut lesbaren Zusammenfassung der 16 Beiträge des Bandes durch die Herausgeber (S.9-20), wodurch der Leser einen schnellen Überblick über den Inhalt des Bandes erhält. Das Spektrum der Beiträger (vgl. S. 339-341), die von ihrer Ausbildung bzw. universitären Tätigkeit eng mit der Religionswissenschaft verbunden sind, reicht von einem Dissertanten (M. Schmiedel) über habilitierte Hochschullehrer (A. Herrmann-Pfandt, W. Klein) und Lehrstuhlinhaber (P. Antes, M. von Brück, W. Gantke, W. Reiss, U. Tworuschka) bis zu zwei Emeriti (R. Friedli; O. Schumann). Dazu kommen die Philosophen B. Horyna, R.A. Mall, G. Stephenson und H.R. Yousefi, der Mediziner P. Kaiser und die systematische Theologin K. Ceming. Welchen inhaltlichen Beitrag die beiden Mitherausgeber I. Braun und K. Fischer für die Entstehung des Buches geleistet haben, ist unklar. Soweit der äußere Rahmen des Bandes, der verschiedene Wege zur Religionswissenschaft aufzeigen will. Dass unter den Autoren zumindest eine genauso große Zahl von Privatdozent(inn)en und Lehrstuhlinhabern für Religionswissenschaft in Deutschland nicht vertreten ist, hat sicherlich mehrere Ursachen: Schon der Umfang eines Buches verbietet es, dass alle in Frage kommenden Personen mitwirken können, manche haben wohl auch aus Zeitgründen absagen müssen. Dennoch ist unübersehbar, dass die vertretenen Autor(inn)en keiner expliziten kulturwissenschaftlichen Ausrichtung des Faches angehören. Eine Ausnahme stellt hier nur B. Horyna mit seinen sehr skeptischen Ausführungen über eine "in gesellschaftliche Praxis übertragene und dort wirksame Religionswissenschaft" (S. 146) dar, wobei jedoch seine zur (Wissenschafts-)Theorie der Religionswissenschaft vorgetragenen Überlegungen m. E. auch kaum zu einer Klärung und Schärfung von Aufgaben und Vorgangsweisen des Faches beitragen. Alle anderen Autoren lassen - wenngleich in unterschiedlicher Weise - die Bereitschaft erkennen, dem Numinosen/Transzendenten/Heiligen in der religionswissenschaftlichen Diskussion einen ungleich wichtigeren Platz einzuräumen, als dies bei (vielen) Vertretern einer kulturwissenschaftlich orientierten Religionswissenschaft der Fall ist.

Die Autorenwahl zeigt somit eine gewisse inhaltliche Steuerung, was die Herausgeber in ihrer Einleitung wie folgt ansprechen (S.9): "Dabei soll es nicht lediglich darum gehen, Vertreter diverser und oft antagonistisch argumentierender Richtungen zusammenzuführen, sondern vielmehr darum, eine Arbeitsbasis zu finden, von der aus eine sachliche und problemorientierte Debatte möglich wird." Diese Offenlegung der Auswahl der Beiträger spricht für die Herausgeber, allerdings macht sie auch klar, dass das Buch - anders als der Titel vorgibt - nicht die vielen Wege zur Religionswissenschaft skizziert, die das Fach derzeit im deutschsprachigen Raum charakterisieren, sondern nur jene Bahnen (mit ein paar Abzweigungen), die sich entlang eines von H.R. YOUSEFI benannten "interkulturellen" Zugangs zur Religionswissenschaft skizzieren lassen. Ein solches Anliegen ist legitim, deckt aber nur ein paar Facetten der Religionswissenschaft ab, obwohl die Betonung der "Interkulturalität" der Religionswissenschaft Breite des Ansatzes beansprucht. Unter dem Aspekt der "Interkulturalität" des Ansatzes wäre daher hoch interessant gewesen, wenn Interkulturalität auch in der Autorenwahl einen Niederschlag hätte finden können, z.B. durch die Einbeziehung von Vertretern des Faches etwa aus Afrika, Südostasien oder Lateinamerika - Gebiete, die innerhalb der "International Association for the History of Religions" als internationalem Dachverband der Religionswissenschaft inzwischen große For-schungs- und Kongressaktivitäten entfalten. Da solche Fachvertreter häufig mit dem Phänomen des Heiligen in ihren Forschungen argumentieren (vgl. S. 51), wäre es zweifellos eine Bereicherung für die interkulturelle Fragestellung nach Religionswissenschaft gewesen, die eine oder andere diesbezügliche Autorenstimme zu hören.

Einige der Artikel sind als Grundsatzbeiträge zur Thematik einer "interkulturellen" Religionswissenschaft zu sehen, die H. R. YOUSEFI skizziert (S. 21-48). Dabei greift der Autor weitgehend auf seinen schon in einer kleinen Monographie (Grundlagen der interkulturellen Religionswissenschaft, Nordhausen 2006) vorgestellten Forschungsansatz zurück, der einen hohen Anspruch darstellt; denn YOUSEFI will die mterkulturelle Religionswissenschaft als Dach verstehen, das so unterschiedliche Einzeldisziplinen wie Kulturphilosophie, Ethnologie, Sozial- und Religionspsychologie, Religionspolitik, Medienpädagogik oder Friedens- und Konfliktforschung zu verbinden vermag. Dies sei möglich, weil eine philosophia pe-rennis in unterschiedlichen Erscheinungsformen auftritt und Religionen mit dem Heiligen als ihrem Kern in einer gemeinsamen "Lebenswelt" verwurzelt sind (vgl.S.22f.). Ausgehend von diesem Ansatz postuliert YOUSEFI schließlich (S.46-48) einige Dimensionen (man könnte auch sagen Thesen): Die interkulturelle Religionswissenschaft ist "keine wertneutrale Disziplin", sie ist ein "Schul-und Weltbegriff", kennt mit ihren "Toleranz- und Dialoganforderungen auch normative Züge" und fördert die "eigene religiöse oder kulturelle Überzeugung durch kontrastierende Interpretation". Hier gerät m. E. der Anspruch der interkulturellen Religionswissenschaft sehr eng an den Anspruch einer "Superkultur" oder "Superreligion". W. REISS hat in seinem Beitrag zu dem Band zu Recht darauf hingewiesen, dass YOUSEFIS "Zielsetzungen die Religionswissenschaft doch schleichend in eine normative Disziplin verwandeln" können (S.297). Somit überzeugt YOUSEFIS engagiertes Eintreten letztlich nicht: aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive wird man seinen (impliziten) normativen Anspruch der Religionswissenschaft ablehnen, und aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive ist auch die Interkulturalität der Religionswissenschaft keineswegs so neu, wie es der programmatische Beitrag beansprucht. Eine philologisch und historisch fundiert arbeitende Vergleichende Religionswissenschaft - durchaus in kulturwissenschaftlicher Ausrichtung, wie sich der Rezensent in seiner Arbeitsweise versteht -, die den jeweiligen religions- und kulturspezifischen Kontext entsprechend würdigt, war immer "interkulturell ", auch wenn dieser Begriff erst in jüngerer Zeit (inflationär) in Verwendung gekommen ist.

W. GANTKE zeigt in seinem Grundsatzartikel den Nutzen einer differenzierten und modifizierten Religionsphänomenologie auf, wobei er sich auch zu Recht von Fehlformen religions-phänomenologischer Forschung distanziert (vgl.S. 54 & 63). Dabei liefert GANTKES Ansatz m. E. durchaus die Möglichkeit, die Kluft zwischen einer "modifizierten" kulturwissenschaftlich und einer "modifizierten" phänomenologisch ausgerichteten Religionswissenschaft zu überbrücken, denn diese dürfte weniger tief sein, als GANTKE meint, wenn er formuliert (S. 6of.): "Die Kulturwissenschaftler behaupten dagegen gerne, am Phänomen Religion sei grundsätzlich nur das erfassbar, was die in der Forschung entwickelten konstruktiven Verfahrensweisen zu erfassen erlauben. Ein unergründliches Heiliges mag es zwar geben, aber die Frage nach ihm sei bereits eine unwissenschaftliche, religiöse Frage und gehöre deshalb nicht in die Religionswissenschaft." M.E. geht der Religionswissenschaft nichts verloren, wenn die beiden methodischen Zugänge - Frage nach dem Heiligen (gegebenenfalls mit einem implizit substantialistischen Religionsbegriff) und Frage nach der Religion als "Menschenwerk" (gegebenenfalls mit einem implizit funktionalistischen Religionsbegriff) - nebeneinander bestehen, um die Vielfältigkeit von Religionen zu erforschen. GANTKE (S. 58 mit Anm. 8) selbst weist dabei auch auf die "Schnittmenge" zwischen neuen religionsästhetischen Ansätzen, die m. E. als kulturwissenschaftlicher Zugang gesehen werden, und religionsphänomenologischen Forschungsaufgaben hin. In einer pluralistischen Welt von Religionen sollte es daher auch pluralistische Zugänge zur Erforschung dieser Religionen geben, wobei eine - wie oben genannt - philologisch und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Vergleichende Religionswissenschaft durchaus eine Gesprächsbasis mit phänomenologischen Ansätzen bieten kann; in dieser vergleichenden Methodik ist dann auch die von GANTKE angesprochene Gefahr, dass "sich die zunehmend fragmentari-sierte Religionswissenschaft zu guter Letzt ganz in die einzelnen kulturwissenschaftlichen Fachdisziplinen auflösen wird" (S.59), abzuwehren. Die Stärke der Religionsphänomenologie - gegenüber einer kulturwissenschaftlich geprägten Religionsforschung - liegt für GANTKE in der Weite und Offenheit ihres Fragehorizonts (S.73), die auch Grundfragen nach Religion im Allgemeinen und nach "Religion in den Religionen" (S.76) einschließt. Religionsvergleichende Behandlungen von zentralen menschlichen Fragen wie dem Verhältnis von Krieg und Frieden, Gut und Böse oder Diesseits und Jenseits können dabei in einer engagierten interkulturell ausgerichteten Erforschung von Religionen thematisiert werden, wobei solche Themenstellungen der Religionswissenschaft auch interdisziplinären Anschluss an andere Forschungsrichtungen bieten.

Diese "Anschlussfähigkeit" der Religionswissenschaft an gesellschaftliche Fragestellungen und Herausforderungen thematisiert R. FRIEDLI in seinem Grundsatzbeitrag über "Angewandte Religionswissenschaft" (S. 79-93). Als konkrete aktuelle Beispiele, anhand derer sich diese Herausforderungen für die Religionswissenschaft deutlich machen lassen, nennt FRIEDLI Migration, Islam und Entwicklungszusammenarbeit. Um in solchen Feldern als Religionswissenschaftler kompetent wirken zu können, bedarf es nach FRIEDLI Kenntnis in vier methodischen Bereichen, wobei an erster Stelle als Grundvoraussetzung jeder religionswissenschaftlichen Arbeit die philologisch fundierte Kenntnis der Religionsgeschichte gehört, mit mindestens einem regionalen Schwerpunkt und der Kompetenz in der/den dazugehörigen Quellensprache/n (S. 84). Diese Forderung von FRIEDLI ist bedingungslos zu unterstützen, da - nach Eindruck des Rezensenten - sowohl durch neue Studienkonzepte entlang von Bachelor- und Masterstudiengängen als auch durch "Inhaltsverlagerungen" auch Aktualität, Anwendbarkeit und Gegenwarts- bzw. Gesellschaftsrelevanz diese Grundkenntnisse über Religionsgeschichte und Quellensprache häufig als weitgehend verzichtbar erscheinen, mit dem Ergebnis, dass religionswissenschaftliche Kenntnisse kaum mehr als ein sprichwörtliches Luft-schloss sind. Weitere methodische Kompetenzen, die FRIEDLI als Voraussetzung nennt, sind Problem-und Lösungsorientiertheit, wozu auch Kenntnisse von sozialwissenschaftlichen Methoden gehören, ferner die Fähigkeit zu Interdisziplinärer Forschung und Teamfähigkeit. - Ein derart interdisziplinär und interkulturell geschulter Religionswissenschaftler kann dann in einer Reihe von gesellschaftlichen Kontexten seine Kompetenz für die Bewältigung von Herausforderungen, denen sich Gesellschaften heute stellen müssen, einsetzen, sei es im Bereich der Konfliktforschung, der Schule, im Management, im Krankenhausmilieu oder im politischen Kontext, wie FRIEDLI beispielhaft aufzählt (S. 87-92). Für all diese Bereiche einer globalisierten Welt mag die "interkulturelle" Kompetenz des Religionswissenschaftlers gefragt sein.

Die drei ausführlich diskutierten Beiträge haben m. E. den größten programmatischen Anspruch und Wert in diesem Band. Auch weitere Beiträge bringen grundsätzliche Überlegungen zu Aufgaben der Religionswissenschaft, indem U. TWORUSCHKA einige Aufgaben praktischer Religionswissenschaft benennt und P. ANTES sich dafür ausspricht, dass die Religionswissenschaft eine Art Dachdisziplin für viele andere Fächer werden sollte, m. E. wohl eine zu optimistische Zielsetzung. Eine Sonderstellung unter diesen grundlegenden Beiträgen nimmt W. REISS ein, der in "Anwendungsorientierte Religionswissenschaft" kritisch die Positionen von B. HORYNA, H. R. YOUSEFI und U. TWORUSCHKA, die diese schon in ähnlicher Form an anderen Stellen vertreten hatten, diskutiert; insofern ist der Beitrag von REISS eine Art "Teilrezension" bereits innerhalb des Bandes.

Andere Beiträge greifen interessante - und wichtige - Einzelthemen auf, deren Lektüre für Einzelaspekte der Religionswissenschaft lohnenswert ist, ohne jedoch im Sinn der Gesamtfragestellung des Buches "Wege zur Religionswissenschaft" darzustellen. So behandeln M. VON BRÜCK und W. KLEIN jeweils das Thema "Toleranz", wobei W. KLEIN einen gelungenen Beitrag liefert, der überzeugend darlegt, dass kompetente Toleranzforschung ein noch weitgehend unbeackertes weites Feld innerhalb der Religionswissenschaft ist. A. HERRMANN-PFANDT thematisiert anhand von Menschenopfern drei Gefahren im Umgang mit religiös motivierter Gewalttätigkeit, nämlich die Tendenz bzw. Gefahr der interkulturellen Verleumdung, derVerleugnung des "Dunklen" sowie der Romantisierung des Abartigen. Ausgehend von diesem kurzen Beitrag kann man gespannt auf ihre Detailausführungen in einer größeren monographischen Untersuchung warten, um zu sehen, wieweit diese formulierten Gefahren sich anhand eines umfangreicheren Materialbestandes belegen lassen. Ich komme zum Ergebnis: Etwa die Hälfte des Buches nehmen jene Beiträge ein, die grundsätzliche Überlegungen zur Gesamtthematik formulieren und die oben auch mehr oder weniger ausführlich angesprochen wurden. Die Ausführungen von W. GANTKE und R. FRIEDLI verdienen-selbst wenn man ihnen nicht in allen Einzelpunkten folgt -unbedingte Aufmerksamkeit, so dass daraus für weitere Diskussionen innerhalb der Religionswissenschaft wesentliche Anstöße ausgehen sollten. Auch wenn sowohl GANTKE als auch FRIEDLI solche Überlegungen schon an anderer Stelle geäußert haben, lohnt ihre Lektüre immer wieder, so dass die Veröffentlichung sicherlich ein Gewinn für das Fach war. Auch die Einzelbeobachtungen, die W. KLEIN und A. HERRMANN-PFANDT vorgestellt haben, sind anregend, möglicherweise wären sie aber in einer religionswissenschaftlichen Fachzeitschrift leichter zugänglich geworden, da man sie im vorliegenden thematischen Band nicht in erster Linie sucht. Daneben bleiben noch andere -hier nicht weiter genannte - Beiträge mit rund 100 Seiten, deren Veröffentlichung m. E. nicht nötig gewesen wäre. Somit bleibt am Ende die Erkenntnis, dass mehrere "Wege" (= Beiträge) den Leser nicht zu einer qualitativ hochstehenden Religionswissenschaft hingeführt haben, die unter kritischer und systematischer Auswertung des reichen religionsgeschichtlichen Quellenmaterials von Haus aus bereits seit langem eine grundlegende interkulturelle Basis besitzt.


Manfred Hutter / Bonn


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