Claus Bernet

Deutsche Quäkerbibliographie

Vollständiges Schriftenverzeichnis des Quäkertums
von den Anfängen um 1660 bis heute

Rezension


Die Quäker repräsentieren nach Troeltsch bekanntlich die "Vollendung des Sektentypus".1 Mit ihrer Konzentration auf die persönlich-religiöse Erfahrung und die damit verbundene radikale Verwerfung nicht nur der Sakramente, sondern auch jeder Form von geistlichem Stand fehlen ihnen wesentliche Antriebe zu Institutionalisierung und Selbstbeschreibung. Dies ist der Grund für den auffälligen Umstand, daß von Quäkerseite selbst bisher die Geschichte dieser Bewegung erst sehr unzulänglich bearbeitet worden ist. Darauf hat in letzter Zeit vor allem der Berliner Historiker Claus Bernet, selbst Mitglied der "Gesellschaft der Freunde", aufmerksam gemacht. Bernet ist ein ausgewiesener Fachmann. Mehrere Jahre war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist mit Studien zum Pietismus, zur Utopieforschung und zur Geschichte religiöser Siedlungen in Deutschland sowie den USA hervorgetreten. Um die historische Quäkerforschung hat er sich in Form biographischer Studien und Editionen bedeutender Texte verdient gemacht.2

Nun legt er als Ergebnis einer beachtenswerten Fleißarbeit ein Verzeichnis des in deutscher Sprache vorliegenden Quäker-Schrifttums vor. Mit Stand vom März 2006 handelt es sich um mehr als 1.500 Texte. Ebenfalls verzeichnet sind englischsprachige Texte, die thematisch das deutsche Quäkertum betreffen. Die Bibliographie dokumentiert eine mehr als dreihundertundfünfzig Jahre währende publizistische Tradition. Das Gliederungsschema differenziert die Einträge nach inhaltlichen und chronologischen Kriterien. Zunächst werden Überblickswerke und Einführungen genannt. Es folgen Monographien und "Traktate" sowie Zeitschriften mit einem allgemeinen Gegenwartsbezug. Der dritte Teil ist Schriften zur Geschichte des Quäkertums gewidmet, und zwar seit der Ablösung der Gesellschaft aus dem Pietismus bis in die Zeit nach 1945. Der vierte Teil untergliedert den Bereich der "Thematischen Arbeiten" nach Religion / Theologie, Sozial-, Friedens- und Versöhnungsarbeit, Pädagogik, Wirken in Politik und Wirtschaft, Biographica und autobiographisches Schrifttum, Populäres und Quäkergeschichten für Kinder und Jugendliche. Ergänzend werden einschlägige unveröffendichte Qualifikationsarbeiten genannt. Man mag einwenden, daß derartige gedruckte Literaturübersichten im Zeitalter des Karlsruher Virtuellen Katalogs und ähnlicher neuerer bibliographischer Hilfsmittel unnötig geworden seien. Daß dies aber in solch grober Allgemeinheit nicht zutrifft, kann der kleine Band ohne weiteres zeigen. Wohl kein anderes Instrument wäre besser geeignet, die reiche Szenerie der Quäkerliteratur unmittelbar vor Augen zu stellen. Zugleich macht sie aber auch sichtbar, wie gering nach wie vor - ähnlich schon den Anfangszeiten - der Antrieb zu theologischer Reflexion innerhalb der deutschen Mitgliederschaft gewesen ist.

Ein weiterer von Bernet bearbeiteter Band versammelt vierundvierzig biographische Porträts von Personen, die das Schicksal dieser Gemeinschaft im zwanzigsten Jahrhundert getragen und geprägt haben. Zu den Auswahlprinzipien erklärt der Autor: "Es sollen alle Persönlichkeiten aufgenommen werden, die einerseits im öffentlichen Leben wirkten, sei es als Politiker, Künstler oder Wissenschaftler, und die gleichzeitig im Quäkertum verwurzelt waren" (Quäker aus Politik, Wissenschaft und Kunst, 7). Formales Kriterium ist eine Mitgliedschaft in der "Deutschen Jahresversammlung", der zentralen organisatorischen Instanz des deutschen Quäkertums. Jeder Beitrag steht für sich; eine Geschichte der Jahresversammlung oder gar der Quäkergemeinschaft insgesamt ist nicht beabsichtigt. Doch wird ihr auf eine fruchtbare Weise vorgearbeitet; jedenfalls erhalten sowohl die älteren Standardwerke von Wilhelm Hubbsn und Heinrich Otto wie auch Hans A. Schmitts "Quakers and Nazis" (Columbia, Miss. USA 1997) eine erwünschte Ergänzung und in vielen Details wichtige Korrekturen.

Betrachtet man die sehr geringe Mitgliederzahl der Quäker in Deutschland (sie betrug zu keinem Zeitpunkt im zwanzigsten Jahrhundert mehr als fünfhundert; gegenwärtig sind es etwa zweihundertundfünfzig Personen), so ist das Maß an kultureller Aktivität, auch an politischem Engagement und überhaupt an öffentlicher Wirksamkeit erstaunlich groß. Zahlreiche Einzelbiographien stehen für die enge Beziehung zwischen Quäkertum, SPD und Deutscher Friedensgesellschaft, bisweilen auch den Religiösen Sozialisten und der Frauenbewegung. Doch auch die Herkunft aus dem liberalen Protestantismus spielt in manchen Lebenswegen eine wichtige Rolle (Ruth Eisner von Grunow, Margarete Geyer, Gertrud von Petzold, Rudolf Schlosser). Heinz Kappes, Pfarrer der Badischen Landeskirche und Karlsruher SPD-Stadtrat, trat der "Religiösen Gesellschaft" 1934 bei. Der Theologe Emil Fuchs war seit 1933 Mitglied. Durch ihn kam auch Hermann Mulert, der Herausgeber der "Christlichen Welt", in Kontakt zur sächsischen Quäkergruppe, der er sich 1943, unter dem Eindruck des kirchlichen Versagens im Dritten Reich, anschloß. Der sächsische Pfarrer Wilhelm Mensching (1887-1964) stand den Quäkern nahe, trat der Jahresversammlung aber nicht bei.

Bernets Recherchen und Schilderungen sind oftmals erste Schritte; sie öffnen das Thema für wreitere Forschungen. Etliche der von ihm Porträtierten haben Lebenserinnerungen verfaßt, die in Manuskriptform vorliegen und bisher nicht beachtet worden sind. Für eine Beschreibung des sozialen Milieus, aus dem heraus sich das deutsche Quäkertum entwickelt und gestaltet hat, sind sie natürlich von unschätzbarer Bedeutung. Ein Gewinn wird auch die für 2008 und 2009 im Olms-Verlag angekündigte dreibändige Ausgabe "Deutsche Quäkerschriften" sein. Auf weit über eintausend Seiten sollen hier in solider Edition ca. dreißig historisch bedeutsame Texte aus der Quäkerliteratur zur Verfügung gestellt werden. Die Ausgabe wird gewiß dazu führen, daß das freigeistige Erbe der Quäker stärker als bisher in die aktuellen religions- und kulturwissenschaftlichen Erörterungen einbezogen wird.

1) Siehe Ernst Ttoeltsch: Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit (1906/1909/1922), hg. von Volker Drehsen in Zusammenarbeit mit Christian Albrecht (- Ernst Troeltsch: Kritische Gesamtausgabe, Band 7), Berlin, New York 2004, 417-420, hier: 417.

2) Zuletzt hat Bernet eine seinerzeit ungedruckt gebliebene biographische Arbeit von Emil Fuchs über den Begründer des Quäkertums veröffentlicht: George Fox. Seine Botschaft, sein Wesen und sein Leben nach seinen eigenen Denkwürdigkeiten dargestellt. Mit einer Einleitung von Claus Bernet, hg. von der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker) e.V., Berlin (Selbstverlag) o.J. [2006].

Matthias Wolfes


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