Klaus Schlupp

Schule, Staat und Kirche

Die katholische Volksschule im Bistum Mainz 1830-1877

Rezension


Das katholische Schulwesen im 19. Jahrhundert ist, sofern es die Minderheit innerhalb eines überwiegend protestantischen Staates bildete, von der bildungshistorischen Forschung bislang vor allem als Objekt staatlicher Schulpolitik betrachtet worden. Ziel der an der Universität Osnabrück im Jahr 2000 abgeschlossenen theologischen Dissertation von Klaus Schlupp ist es hingegen, das Verhältnis von Kirche und Schule „von der Kirche ausgehend“ zu untersuchen (13). Der Verfasser möchte Schulgeschichte dezidiert „aus der Perspektive des Kirchenhistorikers“ schreiben, da diese ihm deutlich anders erscheint als die von „Profanhistorikern und Pädagogen“. Dem Wirken einzelner Personen, ihren Positionen und Strategien sowie den theologischen Strömungen der Zeit will er dabei besondere Aufmerksamkeit schenken.

Untersuchungsgegenstand sind die katholischen, vor allem in der Provinz Rheinhessen konzentrierten Volksschulen des Großherzogtums Hessen zwischen 1830 und 1877, wobei der Entwicklung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf fast 100 Seiten ebenfalls recht breiter Raum eingeräumt wird. In den ersten – chronologisch angelegten – Kapiteln spielt die Auseinandersetzung der Mainzer Bischöfe – insbesondere Wilhelm Emmanuel von Kettelers – mit der staatlichen Volksschulpolitik eine wichtige Rolle. In diesen ging es in erster Linie um die Frage nach Konfessions- oder (weltlichen) Kommunalschulen. Während die katholische Kirche durchgehend eine konfessionelle Ausrichtung der Lehranstalten befürwortete, änderte sich die Zielrichtung der hessischen Staatsregierung im Laufe der Zeit. Dabei bildete die von Regierungsrat Friedrich Wilhelm Hesse in der Provinz Rheinhessen betriebene Simultanschulpolitik die Grundlage des liberalen Gesetzes von 1827. Fünf Jahre später favorisierte die konservative Regierung dann wieder konfessionelle Lehranstalten, bevor das Kulturkampfgesetz von 1874 erneut Kommunalschulen als Regelanstalten vorsah.

Auch das Verhältnis zwischen dem Mainzer Episkopat und den staatlichen Behörden war Schwankungen unterworfen. Phasen der Kooperation in den konservativ geprägten 1830er und dann wieder in den 1860er Jahren, als Episkopat und Regierung im kleindeutschen Liberalismus und Nationalismus einen gemeinsamen Gegner sahen, wechselten mit solchen der Konfrontation. Auseinandersetzungen traten insbesondere in den 1850er Jahren auf, als Bischof Ketteler versuchte, tatsächliche oder vermeintliche Rechte der Kirche im Schulwesen durchzusetzen, und in dem durch den Kulturkampf geprägten Jahrzehnt nach der Reichsgründung. Hauptstreitpunkte bildeten neben der Frage nach Kommunal- oder Konfessionsschule die Aufsicht über den Religionsunterricht, die Auswahl der Lehrbücher sowie die Ernennung der und die Disziplinargewalt über die Lehrer.

Es gelingt dem Verfasser, ein differenziertes Bild des Verhältnisses von katholischer Kirche und Volksschule unter den Rahmenbedingungen eines überwiegend protestantischen Staates zu zeichnen und die unterschiedlichen Motive, Herangehensweisen und Strategien der einzelnen Bischöfe, aber auch des Klerus vor Ort darzustellen. So kam einerseits von den Pfarrern Widerstand gegen die Simultanschulpolitik in den 1820er Jahren, während andererseits Bischof Vitus Burg die Taktik verfolgte, unter Umgehung der Provinzialregierung die Aufsicht über die Lehranstalten direkt in Darmstadt anzusiedeln, was mit der Etablierung des Oberschulrats als Zentralbehörde auch gelang. Charakteristisch für die Argumentation von Bischof und Klerus war die Betonung des Elternrechts und der Verweis auf das notwendige Zusammenwirken von Haus, Staat und Kirche.

Die weiteren, nach systematischen Aspekten geordneten Teile der Untersuchung beschäftigen sich mit dem Unterricht und den Lehrbüchern in der Volksschule sowie mit der Volksschulpolitik in den Städten Mainz, Darmstadt, Gießen und Friedberg. Die Lokalstudien machen deutlich, dass die Schulsituation und das Verhältnis zwischen Stadtrat und Klerus sowohl von den jeweiligen Persönlichkeiten als auch von den Rahmenbedingungen abhingen und dass es nicht notwendigerweise zu Konflikten kommen musste.

Schließlich behandeln zwei Abschnitte das katholische Lehrpersonal im Großherzogtum Hessen und sein Verhältnis zur Kirche. Bischof Ketteler erwartete einerseits absolute Loyalität und versuchte, die Lehrer in die kirchlichen Strukturen einzubinden, unterstützte jedoch andererseits ihre Interessen, um sie gegen liberales Gedankengut zu immunisieren. Der Erfolg dieser Bemühungen zeigte sich etwa darin, dass die katholischen Lehrer im Großherzogtum die Forderungen des 1868 gegründeten Landeslehrervereins nach Ausschluss der Geistlichen aus dem Schulwesen sowie nach konfessionslosen Schulen und simultaner Lehrerbildung nicht teilten. Gehörten der Vereinigung 1869 noch ein Drittel der katholischen Pädagogen an, gründeten sie 1892 schließlich eine eigene Organisation.

Im Unterschied zu den protestantischen Gebieten im Großherzogtum Hessen, aber auch in anderen Teilen Deutschlands gab es in katholischen Regionen durch die Schulorden eine lange Tradition von Lehrerinnen an Volksschulen. Bischof Ketteler wollte die Beschäftigung von Frauen im Schuldienst ausweiten und gründete eigens eine Kongregation der „Schul- und Krankenschwestern von der Göttlichen Vorsehung“ vor allem für den Unterricht von Mädchen auf dem Land. Neben der Bedeutung, die er Lehrerinnen für die Vermittlung einer spezifisch weiblichen Bildung zumaß, spielte auch die Ausweitung des katholischen Einflusses im hessischen Schulwesen eine Rolle. Zu einer nennenswerten Zunahme von weiblichen Lehrkräften kam es jedoch erst mit dem Lehrermangel im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Dabei handelte es sich nun jedoch nicht mehr um Ordensfrauen, sondern um weltliche Lehrerinnen, da das Schulgesetz von 1874 im Sinne des Kulturkampfes den Ausschluss von Orden aus dem Schuldienst vorgeschrieben hatte.

Insgesamt legt der Verfasser eine detaillierte, teilweise sehr ins einzelne gehende Schilderung des katholischen Volksschulwesens im Großherzogtum Hessen vor. Sie liefert auch deshalb wichtige Erkenntnisse, weil sie erstmals die kirchliche Überlieferung in großem Umfang auswertet. Die Akten der staatlichen Schulbehörden, etwa des Darmstädter Innenministeriums, sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Den Anspruch, eine gänzlich neue Perspektive auf die Schulgeschichte zu werfen, erfüllt die Arbeit allerdings nicht, denn es wird nicht recht deutlich, was sie von einer bildungshistorischen Untersuchung aus der Feder von Pädagogen oder Historikern unterscheidet.

Sylvia Kesper-Biermann (Bayreuth)


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