Roland Stark

Die Dehmels und das Kinderbuch

bibliothemata, Band 21

Rezension


Gleichsam als Einführung in die Materie empfiehlt es sich vor allem. für jene, die Paula (1862-1918) und Richard Dehmel (1863-1920) "nur" aus der allgemeinen Literaturgeschichte kennen, das zehnte der insgesamt zwölf Kapitel vorweg zu studieren. Es enthält weit mehr, als sein knapper Titel "Der Nachruhm, seine Grenzen und sein Verlöschen" ankündigt. Dass "die Dehmels" mit ihren kinderliterarischen Werken von der Jahrhundertwende an einen enorm richtungweisenden und nachhaltigen Einfluss auf das Metier hatten, ist in der Fachliteratur an sich geläufig und findet etwa auch im "Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur" von Klaus Doderer schon in relativ ausführlichen Artikeln seinen Niederschlag, nicht zuletzt auch der eher seltenere Umstand, dass ihre Rezeption im Bereich des kinderliterarischen Schaffens das in der allgemeinen Literaturgeschichte offensichtlich überwiegt. Roland Stark befasst sich in diesem Kapitel jedoch nicht nur mit dem "blinde(n) Fleck der Germanistik" (147), wie er dieses oft beklagte Phänomen nennt, sondern auch mit der Aufarbeitung durch Kinderliteraturforscher, unter denen er sich insbesondere mit Hans-Heino Ewers und Gisela Wilkending auseinandersetzt sowie mit der 1983 in Dresden entstandenen Dissertation von Dorothea Gelbrich, wobei Stark prägnant darauf hinweist, dass die DDR auf diesem Sektor teilweise offener war, "weil Kinder- und Jugendliteratur auch in ihrer historischen Aufarbeitung Teil der politischen Arbeit war." (148) Aus dem ersten Kapitel, "Beginn der Kinderliteratur", gemeint sind die kinderliterarischen Anfänge von Paula und Richard Dehmel, sei erwähnt, dass im Jahr ihrer Scheidung, 1898, drei Kindergedichte "in der berühmten Wiener Sezessionszeitschrift ,Ver Sacrum' publiziert" wurden (21), und Richard Dehmel begeisterten Zuspruch unter anderen auch von Rainer Maria Rilke erhielt (25). In den drei folgenden Kapiteln befasst sich Stark mit dem kinderliterarischen Hauptwerk, Fitzebutze, mit dem Richard Dehmel die Absicht verfolgte, "ein Buch in die Welt zu setzen, das den ,Struwwelpeter' aus dem Feld schlagen sollte"(41, Brief vom 12.9.1899) Rumpelpumpel und Der Buntscheck. Dabei erläutert er ausführlich die mühsam zustande gekommene Zusammenarbeit insbesondere mit dem Schweizer Maler Ernst Kreidolf und dann auch anderen Illustratoren bzw. mit dem Insel Verlag und anderen Verlagen sowie die Kontakte mit den Hamburger Reformpädagogen Heinrich Wolgast und William Lottig" Diese Erläuterungen stützen sich auf intensive Quellenstudien wie unter anderem im Dehmel Archiv in Hamburg und dem Nachlass Ernst Kreidolf in Bern, wobei Stark seine Argumentation mit ausführlichen Zitierungen bisher unveröffentlichten Briefmaterials belegt.

Was die einen in Starks Darstellung vielleicht als ein zu sehr ausgebreitetes Ausleuchten der eher persönlichen und privaten Beziehungsprobleme der Dehmels wahrnehmen, erscheint vermutlich den anderen, so auch dem Rezensenten, als notwendige Begründung eben für das außerordentliche schriftstellerische Engagement mit dem sowohl Paula als auch Richard Dehmel sich Kinderliteratur als eine eben sehr persönliche Kindheitsaufbereitung erschrieben haben. In gewisser Weise ist das kinderliterarische Werk der Dehmels vermutlich inkommensurabel und in seiner Eigenart tatsächlich nur mit dem Hintergrund des Psychogramms adäquat verständlich, der den psychoanalytischen Einblick in den literarischen Werdegang ermöglicht.

Ernst Seibert


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