Sonja Matter

Verletzte Körper

Eheliche Gewalt vor dem Luzerner Scheidungsgericht
zu Beginn der 1940er Jahre

Band 3 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte

Rezension


Die Verfasserin widmet sich in ihrer Abhandlung "Verletzte Körper", die im Traugott Bautz Verlag in der Reihe "Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte" erschienen ist, dem Thema der Gewalt. Sie beleuchtet dabei einen besonders sensiblen Bereich dieses Themas, der ehelichen Gewalt. Als Ausgangspunkt dienen 216 Entscheidungen des Luzerner Scheidungsgerichts aus dem Beginn der 1940er Jahre. In 78 dieser Verfahren stützte sich zu~ mindest einer der Beteiligten auf den Scheidungsgrund der "schweren Misshandlung" (Art. 138 ZGB), was den Zugang zu dem Phänomen der ehelichen Gewalt öffnet und es in einen speziellen juristischen Kontext einbindet. In dem Hauptteil der Arbeit werden drei höchst unterschiedliche Fälle sehr ausführlich dargestellt, bei denen interessanterweise in nicht einem Fall die Ehe aufgrund schwerer Misshandlung geschieden wurde. Sehr anschaulich wird herausgearbeitet, dass schon der Scheidungsgrund der "schweren Misshandlung" in gewisser Weise impliziert, dass in der Vorstellung des Gesetzes - sowie derer, die dies auszulegen hatten - offenbar "leichte" Misshandlungen keinen Scheidungsgrund darstellten und somit gewisse Formen der Gewalt in der Ehe als "tolerabel" angesehen wurden. Umfassend werden die gesellschaftlichen und sozialen Hintergründe aufgezeigt, die zum einen das Verständnis der Norm und zum anderen das Phänomen ehelicher Gewalt selbst erklären. Dabei wird deutlich gemacht, dass eheliche Gewalt in allen sozialen Schichten auftrat, wenn diese auch in sozial schwächeren Familien häufiger anzutreffen und nicht zuletzt vom damaIs vorherrschenden Familienbild geprägt war. Insbesondere das traditionelle Verständnis des Mannes als Oberhaupt der Familie und seine sich hieraus abzuleitenden (vermeintlichen) Rechte gerieten schon damals erheblich in Widerspruch zur Emanzipation der Frauen und der sozialen Realität berufstätiger und/oder gebildeter Frauen. So waren es denn auch ganz überwiegend Frauen, die unter der Gewalt ihrer Ehemänner zu leiden hatten. Zwar gab es auch Fälle von Gewalt, die von Ehefrauen gegen ihre Männer ausgeübt wurden, diese Falle wurden jedoch schon allein wegen der damit verbundenen sozialen Inakzeptanz nicht von den Ehemännern zur Sprache gebracht; sie tauchten allenfalls als Einrede, auch geschlagen worden zu sein, aus rein prozesstaktischen Gründen auf.

So unterschiedlich die sozialen Verhältnisse der untersuchten Fälle waren, so unterschiedlich waren auch die Gründe für die Gewalt. Dennoch wurde deutlich, dass das traditionelle Verständnis sich stark auf die juristische Auslegung des Begriffs "schwere Misshandlung" niedergeschlagen hat. So konnte es Frauen, die nicht kritiklos den Anweisungen ihres Ehemanns folgen bzw. dessen Launen demütig ertrugen, geschehen, dass die Schläge ihres Ehemanns vor Gericht deshalb relativiert wurden, weil die Ehefrau ein "loses Mundwerk", mithin wohl die Schläge provoziert hat. Hinzu kam nach Meinung der Verfasserin ein eher konservatives Verständnis von der Ehe als "Urzelle des Staates" ‚ die es möglichst galt zu erhalten. In der Tat ist das Fundament der Gesellschaft weniger die Ehe als die Familie, so dass die Scheidung einer zerrütteten Ehe nicht den Bestand der Gesellschaft und schon gar nicht den des Staates gefährden kann. Doch lässt sich aus den aufgezeigten Entscheidungen nicht erkennen, dass das Eheverständnis eine tragende Rolle bei der Beurteilung der Gewalt gespielt hat. Auch wenn von den untersuchten 78 Fällen nur in 6 die Ehe tatsächlich wegen schwerer Misshandlung geschieden wurde, wurden doch auch die anderen Ehen ganz überwiegend, wenn auch aus anderen Gründen (Zerrüttung bzw Ehebruchs), geschieden Die geringe Zahl der Scheidungen wegen schwerer Misshandlung lässt sich wohl eher auf ein ganzes Gefecht von Ursachen zurückführen, welches die Verfasserin sehr detailliert herausgearbeitet hat. Neben den rechtlichen Folgen eines solchen Scheidungsgrundes (Eheverbot und Unterhaltsausschluss) war es wohl vor allem die Beweissituation der regelmäßig allein familieninternen Vorgänge, die es den Richtern nicht leichter machte den Scheidungsgrund zu bejahen. Zustimmung verdient die Analyse der Verfasserin, dass es ein Gefälle im Verständnis des Begriffs der Gewalt, dessen Umschreibung im Prozess wie auch dessen subjektiven Erlebnis zwischen den Parteien und dem Richter gab (gibt?) und das sich wohl ebenso bei der Rechtsfindung niederschlug. Dabei spielt sicherlich auch der Umstand eine Rolle, dass die Opfer ganz überwiegend Frauen, die Richter jedoch allein Männer waren, die (zumindest damals) für die spezifischen Opferprobleme nicht genügend sensibilisiert waren.

Auch wenn die Abhandlung sich mit ca. 60 Jahre alten Entscheidungen beschäftigt, die Rechtslage wie auch das allgemeine Verständnis hierfür sich inzwischen entscheidend geändert haben, ist das Phänomen der ehelichen Gewalt wie die sich daraus ergebenden Probleme der Opfer auch heute noch aktuell. Verdienst der Arbeit ist das Geflecht verschiedenster Ursachen für die Gewalt in der Ehe aufgezeigt und bei Juristen eine Sensibilisierung für das Verständnis der Opfer geschaffen zu haben.

Steffen Schreiber, Potsdam


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