Reto Müller

"Das wild gewordene Element"

Gesellschaftliche Reaktionen auf die beiden Hochwasser
im Schweizer Mittelland von 1852 und 1876

Band 2 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Regionalgeschichte

Rezension


In den Jahren 1852 und 1876 wurde das Schweizer Mittelland von zwei besonders großen Unwettern mit nachfolgenden Überschwemmungen und riesigen Schadensfolgen heimgesucht. Der Autor analysiert in seiner Untersuchung weniger die weitgehend bekannten Vorgänge als das Darum herum: Erklärungsversuche und Berichterstattung, Expertenmeinungen, Hilfe, und Entschädigung und die kurz- oder langfristigen politischen Folgen.

Bemerkenswert beim Hochwasser von 1852 sind die folgenden Phänomene: Der Bund erwies sich zu diesem Zeitpunkt noch als weitgehend ohnmächtig. Zu nahe waren die Erfahrungen des Sonderbundkrieges, zu neu die eben erst realisierten Bundeskompetenzen. ÜberkantonaIe Solidarität war unter diesen Umständen schwer zu erreichen und der Verwaltungsapparat offenbar einfach überfordert. Bemerkbar machen sich bei dieser Überschwemmung auch die ersten Ansätze und Forderungen der Forstwissenschaft: Die Feststellung, dass die Übernutzung der Wälder einen Einfluss auf die hohen Abflussmengen der Gewässer hat und dass Aufforstungen Wasser zurückhalten könnten. Das Hochwasser von 1852 traf das Seeland in ganz besonderem Maße. Die in dieser Zeit fast eingeschlafenen Bestrebungen für eine Juragewässerkorrektion erhielten - mit diesem Unglück wieder Auftrieb.

Das Hochwasser von 1876 betraf primär die Nordostschweiz. In ihren Kompetenzen seit der Verfassungsrevision gestärkt, konnten die Bundesbehörden nun sofort effizient eingreifen, mit Truppenaufgeboten und in der Koordination der Spendensammlungen.

Ein wichtiges Kapitel von Müllers Arbeit ist die Zusammenfassung der Vorgeschichte der Juragewässerkorrektion. Es erstaunt, wie mühsam der Weg von der Idee bis zur Realisierung gewesen ist. Die Überschwemmungen waren seit dem späten Mittelalter bekannt, seit dem 17. Jahrhundert studierte man punktuelle Maßnahmen, und dennoch wurde im 19. Jahrhundert während Jahrzehnten über Techniken, Kosten und Kompetenzen gefeilscht. Zu einem erfolgreichen Abschluss kam die Juragewässerkorrektion letztlich nur dank der Intervention des Bundes, der die verfassungsmäßige Kompetenz hatte, wichtige Werke finanziell zu unterstützen. Das bedeutete insbesondere für die schwer betroffenen Gemeinden des Seelandes eine spürbare Erleichterung. Die Juragewässerkorrektion steht daher gemäß Müller am Anfang einer wesentlichen Aktivität des Bundes bis auf unsere Tage. Mit Bundesgeld konnte man zentrifugale Kräfte bündeln und Resultate erreichen, die auf bloß gesetzgeberischer Ebene wohl kaum eine Chance auf Realisierung gehabt hätten.

Quirinus Reichen


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