Zwischen Studium und Verkündigung


Festschrift zum hundertjährigen Bestehen
der Nordelbischen Kirchenbibliothek in Hamburg.

Hrsg. von Joachim Stüben; Rainer Hering

bibliothemata 13

Rezension


Die Nordelbische Kirchenbibliothek ist gewiß eine der bedeutendsten kirchlichen Bibliotheken, nicht nur im Bereich der Evangelischen Kirche. Die Handbücher verzeichnen sie mit 16 Mitarbeitern und einem Buchbestand von rund 175.000 Bänden und mehr als 300 laufenden Zeitschriften. 1895 auf Betreiben des Hamburgischen Hauptpastors und Seniors Georg Behrmann (1846-1911) begründet, war sie unter dem Namen einer Kandidatenbibliorhek zunächst ganz auf die Fortbildung der Kandidaten vor dem damals in der Hamburgischen Landeskirche neu eingeführten Zweiten Theologischen Examen gerichtet. Aus dieser Zeit hat sich bis heute als ein Sammelschwerpunkt die Predigtliteratur erhalten, eine Schriftengattung, die lange eher undankbar schien und erst allmählich die gebührende wissenschaftliche Aufmerksamkeit auch außerhalb der Theologie findet.

Die zum 100jährigen Bestehen der Bibliothek von Joachim Stüben und Rainer Hering herausgegebene Festschrift ist mit 424 Seiten umfangreich geworden. Dabei erweist sieh die Bibliothek in den Aufsätzen von Inge Mager, Herwarth von Schade, Arnd Heling und Klaus Koch als Teil der kirchlichen Kulturgeschichte Hamburgs und zugleich als ein Ort ihrer wissenschaftlicher Bearbeitung. Zwei Aufsätze von Rainer Hering erhellen die kirchenpolitischen Hintergründe insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus.

Den größten Anteil an der Festschrift beansprucht auf rund 200 Seiten die Zusammenfassung der Bibliotheksgeschichte von Joachim Stüben. Dabei werden die Phasen der Entwicklung sorgfältig aus den Akten hergeleitet: keine Bettlektüre, aber eine akribisch belegte Abfolge, wie sie für kirchliche Bibliotheken ganz oder in Teilen typisch sein dürfte.

Am Anfang steht die wohlwollende, gelehrte Gründung als zunächst durchaus noch minder wichtiger Teil eines kirchenpolitischen Konzepts und im Gedeihen ganz abhängig vom Engagement der Initiatoren. Bald räumlich beengt, nebenamtlich und von wechselnden Kandidaten und Hilfskräften betreut, wird schließlich ein erster Leiter angestellt. Er gehört dem Stand der Pastoren an, ist wissenschaftlich gebildet und literarisch ausgewiesen, dabei aber von eher zurückgezogener Art und in der praktischen theologischen Berufsausübung ohne Anerkennung. 1934 folgt der "Aufbruchsbibliotbekar" des Dritten Reichs. Ein theologischer Laie, kirchenpolitisch exponiert, sachkundig und energisch, gelingt es ihm in enger Anbindung an Bischof Tügel, die Brauchbarkeit des Instrumentes Bibliothek nachzuweisen und zu verbessern, setzt die Bibliothek dabei freilich auch der Fahrt über die kirchenpolitische Holperstrecke der Zeit aus. Die Personalpolitik der Nachkriegszeit verlegt sich stärker auf die theologische Qualifikation des Leiters, bevor offiziell 1957 der professionelle Umschwung mit Hans Werner Seidel einsetzt, der, als Diplombibliothekar eingestellt, sein Theologiestudium nachträglich mit der Promotion abschließt. 1980 findet diese Entwicklung dann ihren vorläufigen Abschluß in der Berufung Herwarth von Schades, der sich als Theologe und verwaltungserfahrener Pastor noch nachträglich der staatlichen Laufbahnprüfung unterzieht. Am Ausschnitt der Personalpolitik wird so die allmähliche, fachbibliothekarische Emanzipation einer kirchlichen Bibliothek deutlich. Zunächst noch ganz im aktuellen kirchenpolitischen Geschehen eingebunden, besser: ihm ausgesetzt, gewinnt sie nach und nach Profil und selbständige Wirksamkeit. Nachzuvollziehen ist dies auch an den Körperschaftsnamen der Bibliothek, die als Kandidatenbibliothek begann, 1929 Landeskirchliche Bücherei, 1969 Landeskirchliche Bibliothek und erst 1977 beim Zusammenschluß der Landeskirchen zur heutigen Nordelbischen Kirchenbibliothek wurde.

Die Untersuchungen zum Dienstleistungsangebot (Christina Fink), zur Kirchenmusiksammlung an der Bibliothek (Elisabeth Sohst) und zur EDV (Barbara Zempel) und der von Armin Stephan verfaßte Artikel zu den Auswirkungen der EDV auf den bibliothekarischen Berufsalltag lassen sich ganz allgemein für kirchliche Bibliotheken mit Gewinn verarbeiten. Der angenehm irenische Tonfall der Festschrift macht erneut deutlich, daß die Fragestellungen und Probleme kirchlicher Bibliotheken nicht konfessionell gebunden sind. Dies gilt auch für die Unschärfen im Selbstverständnis, im anhaltenden Ringen der kirchlichen wissenschaftlichen Bibliotheken um einen Begriff von Öffentlichkeit oder den Begriff der Verkündigung.

Jochen Bepler


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