Pietismus und insbesondere das
Ehepaar Petersen fanden in der kirchenhistorischen Pietismusforschung in letzter
Zeit wieder erneut Interesse. Es sei auf die Arbeiten von Hans Schneider und
seinen Beitrag: "Der radikale Pietismus im 17. Jahrhundert" in der "Geschichte
des Pietismus" Bd. 1. hg. von Martin Brecht, Göttingen 1993, hingewiesen sowie
auf die detailreiche biographische Darstellung von Markus Matthias über Johann
Wilhelm Petersen bis zu seiner Amtsenthebung 1692 (AGP 30). Göttingen 1993. Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine geschichtswissenschaftliche
Dissertation, die im Jahre 1991 an der Münchner Universität eingereicht wurde.
Wie der Verfasser in seinem Vorwort bemerkt, will die Untersuchung "einen
Ausschnitt aus dem komplexen Konfliktfeld zwischen Orthodoxie und Pietismus
an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert darstellen. Die Streitigkeiten des
Ehepaares Petersen mit lutherisch-orthodoxen Theologen bieten dafür gewiß
ein geeignetes Feld, das für die Forschung auch noch viele Aufgaben bereithält.
Die Arbeit von Stefan Luft ist aus einem von Arno Seifert gehaltenen Seminar
mit dem Thema "Chiliasmus in der frühen Neuzeit" herausgewachsen. So stehen
die zentralen Lehren des Ehepaares Petersen von dem zu erwartenden tausendjährigen
Reich auf Erden, die Endlichkeit der Höllenstrafen und die Allversöhnungslehre
im Zentrum der Untersuchung. Im dritten Kapitel werden Biographie und Schriften von Johanna Eleonora Petersen,
geb. von und zu Merlau, dargestellt. Hier geht der Verfasser vor allem der
zwischen Pietismus und Orthodoxie umstrittenen Frage nach der Rolle der Frauen
im Leben der Kirche nach. Da die Arbeit von Matthias nur bis 1692 reicht,
interessiert vor allem die weitere biographische Darstellung Petersens bei
Luft, seine Aufnahme in Brandenburg-Preußen und seine Beziehung zum Berliner
Hof. Petersens Selbstinterpretation seiner Absetzung, seine Stellung zur Obrigkeit
und eine Aufstellung über die ausgedehnten Reisen des Ehepaares Petersen werden
im vierten Kapitel geschildert. Das zehnte und letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Pietismus und den Juden.
Die futuristische Deutung der Johannesapokalypse bei den beiden Petersen sprach
der Bekehrung der Juden eine wichtige heilsgeschichtliche Stellung zu. Aber
in Petersens Haltung gegenüber den Juden kommt auch grundsätzlich Kritik an
den christlichen Vorurteilen gegenüber den Juden zum Ausdruck. Man könne darin
ein "überzeugendes Eintreten für christliche Barmherzigkeit sehen - ein bei
ihm nicht gerade häufig auftretendes Motiv" (S. 314). In seinen Schlußbemerkungen (Kap. II) versucht Luft noch einmal, das Verhältnis
zwischen Pietismus und Orthodoxie um 1700) vor allem in der unterschiedlichen
Stellung zur Obrigkeit kurz zu charakterisieren. Das Beispiel Petersen zeigt,
daß sich der Pietismus auch in seiner radikalen Variante für die Ziele des
Staates einsetzen ließ. Andererseits scheute Petersen nicht davor zurück,
die gute Verbindung zum Hof auch zur Durchsetzung eigener kirchlicher Interessen
zu nutzen. Das zeigt sich vor allem darin, daß die zahlreichen Schriften des
Ehepaares Petersen mit Billigung der Obrigkeit verbreitet werden konnten,
ohne von den Zensurbestimmmungen tangiert zu werden. - Eine ausführliche Bibliographie
mit einem verdienstvollen Quellenverzeichnis der Schriften des Ehepaares Petersen
mit jeweiliger Standortangabe ist angefügt, leider kein Personen- oder Sachregister. Es ist zu begrüßen, wenn sich an der Erforschung der Geschichte des Pietismus
neben den Kirchenhistorikern auch Allgemeinhistoriker beteiligen. Die quellenorientierte
Darstellung der Konflikte um den Chiliasmus und Petersens Lehre von der "Wiederbringung
aller Dinge" enthält einige wichtige, weiterzuführende Aspekte. Die Untersuchung
von Stefan Luft fordert jedoch auch die Kritik heraus! Bei der biographischen
Darstellung benutzt er vorwiegend die Lebensbeschreibungen der beiden Petersen,
wobei die notwendige hermeneutische Vorsicht bei der Benutzung dieser historischen
Quelle wahrhaftig nicht immer geübt wird! Die vielen Zitate dienen mehr der
Dokumentation als der Interpretation. Im einzelnen wäre eine ganze Reihe von
Errata zu korrigieren. Die Zusammenfassungen am Schluß der Kapitel enthalten
manche fragwürdigen Formulierungen. Das Klischeebild über die lutherische
Orthodoxie wird leider wieder mehrfach bestätigt. Auf einige wenige notwendige
Korrekturen sei hier nur noch hingewiesen: A. H. Franeke ist 1663 geboren,
nicht 1667 (S. 78); es muß Johann Lukas Pestorf heißen, nicht Perstorf (S.
121); das Buch von Carl Hinrichs hat den Titel "Preußentum und Pietismus",
nicht "Preußentum und Luthertum" (S. 146); Die Entlassung Petersens aus dem
Amt war 1692, nicht 1689 (S. 5, 61, 86); Zinzendorf war nicht mit der Gräfin
Castell verheiratet (S. 59), sondern mit Erdmuthe Dorothea von Reuss. Das
Spener-Buch von Johannes Wallmann sollte in der 2. Aufl. von 1986 zitiert
werden. Wolfgang Sommer
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Die Arbeit beginnt mit einer ausführlichen Einführung in die Forschungslage
zum Pietismus, insbesondere zum Chiliasmus und zum Ehepaar Petersen. Innerhalb
dieses Forschungsberichtes - m. E. nicht sehr geschickt - wird auch ein Abriß
über den Chiliasmus in der Kirchengeschichte von der Alten Kirche bis zu Spener
geboten. Am Schluß dieser Einführung folgt ein Hinweis auf die "bisher unveröffentlichte
Arbeit von M. Matthias. Es ist schade, daß Luft die gedruckte Arbeit von Matthias
(sie erschien 1 Jahr vor der seinigen!) nicht mehr zur Kenntnis genommen hat.
Das zweite Kapitel bringt eine knappe biographische Darstellung von Johann
Wilhelm Petersen bis zu seiner Amtsenthebung 1692. Der gut begründeten, detaillierten
Darstellung von Matthias, nach der die Amtsenthebung Petersens vor allem gesellschaftliche
Gründe hatte, steht die Aussage von Luft entgegen, daß der Chiliasmus der
Hauptgrund für Petersens Entlassung gewesen sei (S. 84). Luft entnimmt dies
aus der Lebensbeschreibung Petersens, die er ebenso wie diejenige von seiner
Frau Johanna Eleonora ausführlich zur Grundlage seiner Darstellung macht.
Eine Ordnung in die Fülle der veröffentlichten Schriften der beiden Petersens
versucht Luft in seinem fünften Kapitel zu bringen. Er teilt sie in Streitschriften.
Lehrschriften und exegetische Arbeiten ein. Kurz werden auch die bekannten
Hamburger Streitigkeiten berührt, da sich Johann Wilhelm Petersen mit eigenen
Schriften daran beteiligt (Kap. 6).
Das Zentrum der Untersuchung von Stefan Luft bilden die Kapitel sieben und
acht, in denen die Konflikte mit der Orthodoxie um den Chiliasmus sowie die
Lehre von der "Wiederbringung aller Dinge" geschildert werden. Petersen setzt
sich mit den lutherisch-orthodoxen Theologen August Pfeiffer, Lübecker Superintendent
(nicht Lüneburger, S. 71), Johann Heinrich Feustking und Valentin Ernst Löscher
auseinander. Hierbei kommen die konträren Auffassungen in der biblischen Hermeneutik,
das spiritualistische Schriftverständnis Petersens und seine Vorstellung von
den Offenbarungsökonomien gut zum Ausdruck. Die Darstellung ist quellenorientiert.
Der Stil der Auseinandersetzung, die Stellung zu den Bekenntnisschriften und
die Themen Chiliasmus und Obrigkeit werden besonders hervorgehoben. Die Lehre
Petersens von der "Wiederbringung aller Dinge" sieht Luft als "eine konsequente
Weiterentwicklung der Lehre vom noch zu erwartenden tausendjährigen Reich"
(S. 270). Seltsam unvermittelt schließt sich das neunte Kapitel über das Phänomen
der Schlesischen Betkinder an, das von Petersen und dem Superintendenten Caspar
Neumann unterteilt wurde. Petersen sah bei den betenden Kindern in Dörfern
und Städten und auf freiem Feld ein "Zeichen Gottes in diesen letzten Zeiten."
Neumann dagegen rechnete sie den vermischten Dingen zu, die weder eindeutig
verdammt noch vorbehaltlos bejaht werden könnten.