Die Einführung eines neuen Evangelischen Gesangbuches
(EG) in Deutschland (ab 1993) nimmt der Vf. als Anlaß für die Frage, woraus
denn in einem bestimmten Territorium - nämlich der Stadt Hamburg - zuvor gesungen
wurde. Bei all dem bleibt der Vf. seinem eingangs gewählten Ansatz
treu, das "Früher" des hamburgischen Kirchengesangs mit dem "Heute" des
EG zu korrelieren und zu kontrastieren. Ob er dabei den alten Gesangbüchern
immer gerecht wird und das theologische Profil des je eigenen Liedgutes
hinreichend herausarbeitet, müßte im Einzelfall untersucht werden. Die hymnologische Forschungssituation ist ja dadurch gekennzeichnet,
daß einerseits das Quellenmaterial in vielen Bereichen überhaupt erst erhoben
werden muß und daß anderseits dieses dann vor allen Dingen im jeweiligen
Kontext zu interpretieren ist. Forschungen wie das hier vorgestellte Buch
können da sehr hilfreich sein. Allerdings entsteht der Eindruck, daß die
begrenzte Fragestellung des Vfs. (Welche der damaligen Lieder stehen heute
noch im EG?) den Blick auf das eigentlich hymnologisch Interessante verstellt:
Warum entstand ein Lied zu einer bestimmten Zeit und welche theologische
Aussage enthält es? Und warum wurde eine solche Dichtung dann zu bestimmten
Zeiten in ein Gesangbuch aufgenommen oder überarbeitet oder gar ganz gestrichen?
Auf diese Fragen geben die vielen interessanten Beobachtungen keine Antwort;
sie bleiben farbige Mosaiksteinchen, ergeben aber kein Gesamtbild. Angefügt seien noch ein paar einzelne Hinweise: Wer wird dieses Buch nun mit Gewinn lesen? Ganz sicher jeder, der - wie
offensichtlich der Vf. selbst - ein Liebhaber des Sujets "Gesangbuch" ist
und sich einen Überblick über 450 Jahre evangelischen Kirchengesang in Hamburg
verschaffen möchte. Für den Hymnologen mag es Anregung sein, - ausgehend
von der Fülle des dargebotenen Materials und den vielen Einzelbeobachtungen
- an der einen oder anderen Stelle nun selbst tiefergehende Forschungen
im Bereich der Hamburgischen Gesangbücher aufzunehmen. Heike Löhr Copyright © 2003 by Verlag Traugott Bautz
Das evangelische Singen wurde nicht in Hamburg erfunden, sondern hat seinen
Ursprung in der Wittenberger Reformation, festzumachen am besten an dem berühmten
Brief Luthers an den sächsischen Kanzleibeamten Spalatin vom Ende des Jahres
1523, in dem der Reformator diesen um geistliche Lieder ersucht, "damit das
Wort Gottes schon durch den Gesang bei den Leuten bleibt" (S. 6). Folgerichtig
beginnt der Vf. seine Abhandlung mit Luthers Beitrag zum Gemeindegesang, nennt
die ersten evangelischen Gesangbücher und zitiert länger die wichtigsten Gesangbuchvorreden
Luthers. Es schließt sich an eine kurze Darstellung der wohl zunächst in Hamburg
benutzten Gesangbücher (z. B. dasjenige Joachim Slüters, Rostock 1525). In
fünf Abschnitten, in denen jeweils ein Jahrhundert Gesangbuchgeschichte behandelt
wird, führt der Vf. nun die einzelnen in Hamburg gedruckten geistlichen Liederbücher
vor: beginnend mit Wickradts Enchiridion von 1558, endend mit dem Evangelischen
Gesangbuch (Ausgabe Nordelbien 1994). In einem tabellarischen Anhang finden
sich die Inhaltsverzeichnisse der wichtigsten Gesangbücher, z. T. mit Kennzeichnung
der noch im EG befindlichen Lieder. Ausschmückung erfährt das Buch durch den
Abdruck einiger Titelblätter. Positiv hervorgehoben sei auch das Personenverzeichnis
mit Lebensdaten. Zu den Gesangbüchern selbst werden jeweils sehr unterschiedliche
Informationen geliefert, z. B. über die Verfasser, die Drucker, den Inhalt,
die Veränderungen bei den Liedtexten, über die Diskussionen bei der Planung
eines neuen Gesangbuches oder über Bezüge ins 20. Jahrhundert.
- Es wird nicht deutlich, ob mit den genannten Gesangbüchern bereits alle
je in Hamburg erschienenen oder nur die aufgeführt sind, die sich zufällig
noch daselbst in Bibliotheken und Archiven befinden.
- Man vermißt gelegentlich eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen
Literatur: Zur klassischen Formel, nur "Pastor und Kantor" hätten in früheren
Zeiten ein Gesangbuch besessen, hat schon K. Ameln (JLH 27, 1983) andere
Überlegungen angestellt. Im Literaturverzeichnis fällt dem Kenner sofort
das Fehlen der Schriften von M. Jenny auf, dessen Neuausgabe der Luther-Lieder
in S. 13, Anm. 20, doch arg kurz abgehandelt wird.
- Manchmal hätte man sich den einen oder anderen Beleg gewünscht: Wo genau
begegnet erstmals der Begriff "hymnologia" (S. 34)? Woher weiß der Vf.,
daß man alte Gesangbücher (S. 1) und Liedblattdrucke "nicht lange aufbewahrte"
(S. 93), gar mit dem Zusatz, man habe sie weggeworfen, weil es "ja bald
ein neues Gesangbuch" gab (S. 1). Zählten sie in vergangenen Zeiten nicht
vielleicht zu den wenigen und damit auch kostbaren Büchern des einfachen
Mannes überhaupt?
- Im ganzen hätte man sich über ein wenig mehr Sorgfalt bei den Einzelheiten
gefreut. Dazu zählt z. B. die einheitliche Handhabung von Kapitel-Überschriften,
das Kenntlichmachen von Zitaten (Überschrift Kap. 4!) und die eindeutige
Entscheidung, ob das Erscheinungsjahr von EKG und EG sich nun auf die Stamm-Ausgabe
oder die nordelbische Variante beziehen soll. Schon als kurios muß man wohl
das Verfahren bezeichnen, eine Gesangbuchvorrede Luthers dergestalt zu zitieren,
daß man in der Einführung dazu die Sammeltätigkeit Ph. Wackemagels und seine
Edition der Luthertexte hervorhebt - dann aber aus der Weimarer Ausgabe
der Luther-Werke zitiert (S. 17f.)!