Görge K. Hasselhoff

Moses Maimonides interkulturell gelesen

Interkulturelle Bibliothek, Band 20

Rezension


Der Beginn des 21. Jahrhunderts sah eine Maimonides-Renaissance wie es sie seit hundert Jahren nicht mehr gegeben hat - trotz der Bibliotheken voller Maimonidesliteratur in allen Sprachen erschienen in den letzten Jahren gleich mehrere Werke über den größten jüdischen Gelehrten des Mittelalters, viele davon Einführungen und Biografien. Görge K. Hasselhoff hat nun für das deutsche Publikum eine besondere Einführung geschrieben, unter einem interessanten Aspekt: Der viel diskutierten Interkulturalität. Gerade wenn es um Maimonides geht, ist man versucht, dem schmalen Heftchen diesen oder jenen Mauf Moangel anzulasten - doch es liegt auf der Hand, dass keine Einführung Maimonides gerecht werden kann, und die Stärken des Buches wiegen vieles Fehlende auf.

Verdienstvoll hat Hasselhoff nicht den leichten und offenkundigsten Weg gewählt und das Interkulturelle bei Maimonides in seinem Verhältnis zu anderen Religionen gesucht, in seiner klaren Verdammung des Christentums als Götzendienst und in seinen heimlichen Anspielungen auf Mohammeds angeblichen Analphabetismus. Auch nicht in Maimonides' in der Moderne oft bemühtem messianischen Ideal der Vereinigung aller Völker im Wissen von Gott sieht der Autor den religionsübergreifenden Ansatz - nach einer kurzen "Bio-bibliographischen Annäherung" konzentriert sich das Buch auf zwei ganz andere und doch vielversprechende interkulturelle Aspekte: Die Übersetzungen Maimonidischer Werke in andere Sprachen und, noch interessanter, interreligiöse theologisch-philosophische Themen wie "Vernunft und Offenbarung" oder ethische Gesichtspunkte der maimonidischen Religionsphilosophie.

Die Annäherung gibt Entstehungsgeschichte und groben Inhalt der wichtigsten Werke des Maimonides, an sich schon eine schwierige Aufgabe wegen des andauernden Streits um falsche Zuordnungen und ungenaue Lebensdaten: Hasselhoff präsentiert den neuesten Stand der Dinge. Wirklich Originelles aber bietet das Kapitel über die Übersetzungen, hier ist der Autor Experte und veröffentlicht neben allgemeinen Hinweisen in einem langen Exkurs, eigentlich ungewöhnlich für eine Einführung, auch ganz neues Forschungsmaterial, besonders zur Maimonidesrezeption bei Meister Eckhart. Hasselhoff zufolge erkannte Meister Eckhart in Maimonides einen kongenialen Denke, den zu zitieren auch im Paris des frühen 14. Jahrhunderts kein Problem darstellte - und das obwohl nach mehreren Talmudverbrennungen die Juden kurz vorher endgültig aus Frankreich vertrieben worden waren.

Von allen philosophischen Problemen, die Maimonides nicht nur in den innerjüdischen Debatten dauerhaft etabliert hat, gehört das vom Verhältnis zwischen Vernunft und Offenbarung wohl zu den wichtigsten und zugleich schwierigsten: Was - so fragt der Rabbiner immer wieder in seinem Werk Moreh Nevuchim (1190), dem Führer der Unschlüssigen, was, wenn die Vernunft dem Bibelwort widerspricht? Maimonides beantwortet diese zentrale Frage radikal zugunsten der Vernunft, und das hat ihm nicht nur interkulturellen Ruhm der religiösen Rationalisten aller Jahrhunderte eingetragen, sondern auch heftige Kritik und Verdammung - selbst bei Juden, die sich andererseits streng an sein religionsgesetzliches Hauptwerk, den Mishneh Torah halten. Hasselhoff behandelt Maimonides' Antwort eingehend und zeigt wie komplex das Thema selbst für den radikalen Theologen ist, es hängt mit der monotheistischen Gottesidee genauso zusammen wie mit einer vernünftigen Erklärung der Prophetie, denn der Gesetzgeber Moses war für Maimonides der intelligenteste und damit größte aller Propheten.

In der Behandlung von Maimonides' Ethik und Dialektik macht Hasselhoff noch einmal einen gelungenen Versuch, Originalität und Frische in seine Einführung zu bringen: Während nämlich die allermeisten Autoren, nachdem sie Maimonides' berühmte Sentenz zitiert haben, das die ganze Torah zwei Dinge bezweckt: den vollkommenen Zustand des Körpers und der Seele, sich zugleich auf die höher gestellte Seelenlehre konzentrieren, will Hasselhoff sich auf den Aspekt der Gesundheit des Körpers beschränken. Das führt zu interessanten Ergenissen im Bereich von Maimonides' sonst oft vernachlässigten medizinischen Schriften und deren direktem Verhältnis zur religiösen Ethik.

Zu kurz kommt dann am Ende des Buches das Kapitel über die anderen Religionen in Maimonides' Werk. Hasselhoff will bei Maimonides doch eine gewissen Ambivalenz im Verhältnis zum Christentum und insbesondere zu Jesus erkennen und argumentiert dabei recht überzeugend mit dem (unzensierten) Ende des Mishneh Torah, das Jesus immerhin als Wegbereiter des wahren Mesias bezeichnet. Der Islam wird noch kürzer behandelt, hier fehlt vor allem eine Erwähnung des berühmten Briefs an den Konvertiten Ovadia (Abdallah), der Maimonides' theologisches Verhältnis zum Islam darstellt.

Zusätzlich bietet der Band auch den neuesten Stand der uferlosen Maimonidesliteratur, schon allein das macht das Buch lohnenswert. Aber trotz der gelungenen Einführung - die größte Frage lässt auch Hasselhoff am Ende offen, und damit Raum für weitere dicke Bände zur Maimonidesforschung: Was ist das Geheimnis der Unsterblichkeit der Gedanken dieses mittelalterlichen Rabbiners?

Ben Gurion University of the Negev, Beer Sheva
George Y. Kohler


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