Klaus-Jürgen Grün

Arthur Schopenhauer interkulturell gelesen

Interkulturelle Bibliothek, Band 87

Rezension


Nein, das ist nicht nur eine Einführung in Leben und Werk Arthur Schopenhauers – und doch ist die vorliegende „interkulturelle“ Charakterisierung auch für Einsteiger geeignet! Klaus-Jürgen Grün stellt den von der gegenwärtigen akademischen Philosophie nicht gerade umworbenen Philosophen des 19. Jahrhunderts unter dem Gesichtspunkt vor, was seine Lehre für die Gegenwart Bedeutsames enthält. Dabei verzichtet er weitgehend auf die standardisierten Legenden und Anekdoten aus der Vita des mürrischen Gelehrten. Vielmehr geht es um eine Interpretation Schopenhauers, die etwas universell Verständliches in den Thesen aufspüren möchte. So kann man zum Beispiel in der existentiellen Schicksalsgemeinschaft aller Menschen und dem sie verbindenden Leid etwas alle Menschen Verbindendes entdecken: „Kulturelle Unterschiede sind eine sekundäre Erscheinungsweise, die sich auf zufällige geographische und klimatische Begebenheiten zurückführen läßt; was wirklich zählt unter den Menschen, ist, wie sie sich als gemeinschaftliche Mitglieder einer von Mangel, Not und Leiden beherrschten Welt verstehen lernen. Schopenhauer schält diesen Kern aus Kants Transzendentalphilosophie heraus.“ (S. 33) Der kulturelle Brückenschlag zu den fernöstlichen Religionen muß hier freilich nicht eigens gemacht werden, er liegt bei Schopenhauer ohnehin auf der Hand.

In der Erkenntnislehre Schopenhauers, genauer in seinem Satz vom zureichenden Grund, verbirgt sich – unter interkultureller Perspektive gesehen – auch ein Toleranzedikt. „Der Satz vom Grund wird für Schopenhauer zum wichtigsten Beleg für jenen gefährlichen Mechanismus des menschlichen Denkens, nach dem es die Produkte seiner eigenen Tätigkeiten so behandelt, als seien sie Gegenstände und Strukturen der uns umgebenden Welt. Es ist dies der Mechanismus, aus dem ebenso Intoleranz wie Dogmatismus entstehen: Die Konstrukte der eigenen Wahrnehmung und Denktätigkeit werden als absolute Größen der uns umgebenden Welt gesetzt und gegen andere, widersprechende Vorstellungen von dieser Welt oftmals mit Waffengewalt verteidigt.“ (S. 41) Gerade der subjektive Charakter der bloß vorgestellten Welt erlaubt es, sie als sekundär gegenüber dem objektiven Willen in epistemologischer Hinsicht zu relativieren.

Dem schwierigsten Punkt der Metaphysik Schopenhauers wird ebenfalls nicht ausgewichen: dem „Grundbass“ (S. 93) Pessimismus. Wie läßt sich die starke These begründen, daß unsere Welt nicht die beste, sondern die schlechteste aller möglichen ist? Wie läßt sich plausibel erklären, daß Schopenhauer nun nicht einfach alles schlecht findet, was die platonisch-christliche Tradition zuvor für gut befunden hat? „Der metaphysische Pessimismus Schopenhauers ist Ausdruck seiner Überzeugung, daß es zur bloßen Affirmation der bestehenden Verhältnisse keinerlei Anstrengung bedarf. Affirmation ist der natürliche Gang der Dinge. Wo aber der natürliche Weg sich bahnt, ist es verfehlt, von Moral zu sprechen; dann was moralisch wertvoll ist, das widersetzt sich diesem natürlichen Gang.“ (S. 117)

Der Band endet mit einem sehr aufschlußreichen Kapitel über die Freiheit des Willens. Auch hier versetzt die desillusionierende Philosophie Schopenhauers dem Narzißmus seiner Leser einen Dämpfer. Prägnant faßt Grün Schopenhauers Position zusammen: „Ich kann tun, was ich will, aber ich kann nicht wollen, was ich will.“ (S. 122) Daraus ergeben sich auch für die zeitgenössische Moralphilosophie einige Konsequenzen: „Wenn wir durch Ethik das Verhalten des Menschen verändern wollen, dann nützt es wenig – und dies hat Schopenhauers Ethik ebenso wie die Erfahrung gezeigt –, daß wir ihm beständig die vermeintliche Unwiderleglichkeit unverständlich formulierter rationaler Gründe für sein Handeln demonstrieren. Sinnvoller scheint es, auf die Ausbildung und Erziehung, auf die Charakterbildung des Menschen größeren Wert zu legen. Erst wenn die Menschen anders sind, werden sie auch anders handeln.“ (S. 128)

Insgesamt ist besonders die leicht verständliche Sprache des Bandes hervorzuheben, ebenso wie die gelungene Auswahl und Akzentuierung der Probleme.

Dr. Wolfgang Jordan, Universität Frankfurt am Main


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