Michael Collel


Gotthold Ephraim Lessing interkulturell gelesen

Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) interkulturell lesen zu wollen liegt nahe, schließlich hat er der Nachwelt seinen Nathan-Mendelssohn vermacht, der mit der berühmten Ringparabel den nie ermüden wollenden Religionenstreit zugunsten einer natürlichen Religion eskamotiert. Über diese Nobilitierung der menschlichen Natur im Spiegel konfessioneller und überkonfessioneller Machtspiele mag der werkorientierte Leser zunächst erstaunen, zeichnete der Aufklärer in seinem ersten Drama, Miß Sara Sampson (- das als Bürgerliches Trauerspiel gattungsästhetisch ›regelwidriges‹ Neuland erschloß), doch noch das Bild einer unvollkommenen menschlichen Natur. Und ist es nicht gleichermaßen irritierend, daß sich der Privatmann Lessing an seinem Lebensabend völlig ›atheistisch‹ gibt, wenn er gegenüber Friedrich Jacobi die deus sive natura-Lehre des Spinoza feiert (- und damit ungewollt eine Lawine lostritt, die sogar den jungen Prometheus-Goethe beinahe unter sich begraben hätte)?

Freimaurer, Leibnizianer, Spinozist, Atheist … - wollen wir den Dichter verstehen, müssen wir sein Wirken wie sein Leben kontextualisieren; wollen wir ihn interkulturell ›mustern‹, so müssen wir es mit einer geistigen Entwicklung aufnehmen, die ein ganzes Künstlerleben beanspruchte:

kulturell - interkulturell - metakulturell

Die vorliegende kleine Schrift möchte Gotthold Ephraim Lessing interkulturell lesen. Sie entdeckt weder den Dichter noch sein Werk neu. Und dennoch mag es am Ende erstaunen, mit welcher Prägnanz der Dichter für das Ansinnen der Interkulturellen Bibliothek in den Zeugenstand tritt.

Zum Autor:
Michael Collel, geb. 1975, ist examinierter Promotionsstipendiat und lehrt ›Neuere Deutsche Literatur‹ an der Universität Trier. Seine Veröffentlichungen zu Hofmannsthal, Goethe, Wolfram von Eschenbach, Epikur, Spinoza und zur sprachpragmatischen Stilistik weisen ihn als interdisziplinären Nachwuchswissenschaftler aus.


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