Andreas Hütig


Jürgen Habermas' Philosophie interkulturell gelesen

Jürgen Habermas (*1929) ist nicht nur der einflußreichste und meistzitierte Philosoph in Deutschland, sondern wird in der ganzen Welt rezipiert und diskutiert. Sein Werk umfaßt Studien zur Genese und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft ebenso wie eine umfangreiche Theorie des kommunikativen Handelns, enthält rechtsphilosophische, demokratietheoretische und bioethische Studien neben engagierten und energischen politischen Interventionen und Wortmeldungen in der breiteren Öffentlichkeit.

Habermas betont wie kaum ein anderer die Wichtigkeit emanzipativer, völker- und menschenrechtlicher und demokratischer Strukturen und die potentielle Teilhabe aller an kulturellen und politischen Prozessen. Andererseits wird er von vielen westlichen wie nichtwestlichen Kritikern als Verteidiger einer gewissermaßen alteuropäischen Vernunft wahrgenommen: Er kritisiert zwar metaphysisches Einheitsdenken und plädiert für einen prozeduralen Pluralismus, postuliert aber eine Einheit der Vernunft, die auch durch die "Vielheit ihrer Stimmen" vernehmbar ist und die in der europäischen Moderne ihr Paradigma zu haben scheint. Auch politisch stehen sich seine Rechtfertigung der NATO-Intervention im Kosovo und seine Kritik des Irakkrieges gegenüber.

Diese Ambivalenz durchzieht auch Habermas' gesamtes Werk. Schon die frühen Studien über den Strukturwandel der Öffentlichkeit und das emanzipative Erkenntnisinteresse der Geisteswissenschaften zeigen, welche gesellschaftlichen und theoretischen Strukturen und Entwicklungen der Befreiung der Menschen von Herrschaft förderlich sind; zugleich orientieren sie sich historisch, methodisch und normativ an der europäischen Tradition. In der Theorie des kommunikativen Handelns werden die Bedingungen und Möglichkeiten herrschaftsfreier, verständigungsorientierter Kommunikation erkundet und als ethischer Maßstab aufgestellt; in der darin enthaltenen Konsensorientierung sehen Kritiker aber eine Stillstellung des ethischen Diskurses.

Welche Aspekte in Habermas' Denken interkulturell relevant sind und fruchtbar gemacht werden können und mit welchen Argumenten Habermas seine Positionen bezieht und seine Theorien auch gegen die genannte Kritik verteidigt, wird in dieser Einführung dargelegt. Dabei wird auch auf die jüngsten Schriften zur Bioethik und zum Umgang mit religiösem Denken eingegangen, die Habermas' Positionen in neuem Licht erscheinen lassen.


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