Hans Günther Homfeldt/Wolfgang Schröer/Cornelia Schweppe

Transnationalität,
soziale Unterstützung, agency

Interkulturelle Bibliothek, Band 28

Rezension


Transnationalität oder Supranationalität wird in der semantischen Bedeutung synonym mit "Überstaatlichkeit" bezeichnet. Besonders in der Diskussion um das Völkerrecht finden die Begriffe Anwendung, etwa bei der Kennzeichnung der Europäischen Union, wenn die Übertragung von nationalstaatlicher Gesetzgebung auf überstaatliche Institutionen, wie auf den supranationalen Staatenbund der EU, beschrieben wird. Eine gewisse Differenzierung in den Begriffsanwendungen hat sich jedoch in der letzten Zeit ergeben: Während Supranationalität als Überstaatlichkeit im internationalen Zusammenhang bezeichnet wird, wird von transnationalen Prozessen dann gesprochen, wenn überwiegend ökonomische Beziehungen, wie etwa bei transnationalen Konzernen, dargestellt werden. Transnationalität wird jedoch auch dann benutzt, wenn weltweite kulturelle Phänomene analysiert und verglichen werden. In diesem Zusammenhang wird z. B. seit 1997 von der österreichischen Forschungsinitiative INST (Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse) die Zeitschrift TRANS heraus gegeben.

Diese einleitende Darstellung erscheint deshalb notwendig, um den nicht neuen Begriff zu beschreiben und damit gleichzeitig die Begrifflichkeit als "Verflechtungen im ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Bereich" zu fokussieren auf die Aspekte, denen es den Autoren der kleinen Schrift ankommt: Während sich mit den Prozessen der Transnationalisierung mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen auf der theoretischen und empirischen Ebene beschäftigen, scheint es in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein Defizit um die Frage zu geben, wie transnationale Auswirkungen auf gesellschaftliche Gruppen und Individuen erkannt, dargestellt und bewertet werden können. Dies stellt das Autorenteam insbesondere im Forschungs- und Praxisfeld der Sozialpädagogik und Sozialarbeit fest: Cornelia Schweppe, Professorin für Sozialpädaogik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Hans Günther Homfeldt von der Universität Trier und Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim.

Dabei grenzen sie ihre Überlegungen, die sie mehr als Anregungsstichworte und Zwischenrufe zum wissenschaftlichen Diskurs um die alltagsweltlichen Beziehungsgeflechte in einer "entgrenzten" Welt verstehen, denn als festgefügten Wissenschaftsbericht, auf die Möglichkeiten für die sozialpädagogische und Sozialarbeit ein. Mit der Hereinnahme von Aspekten der sozialen Unterstützungsforschung und von sozialwissenschaftlichen agency-Theorien in die sozialwissenschaftliche Diskussion um Transnationalisierung und Transnationalität, gleichzeitig der Abgrenzung bzw. der Anschluss-Überlegungen zum Begriff der Globalisierung, weisen die Autoren nach, dass die bisherigen Theorien und Formen von sozialen Unterstützungsbeziehungen und Agent-Konzepten weitgehend noch innerhalb von nationalstaatlicher und -gesellschaftlicher Verortung diskutiert werden. Notwendig sei "die globale Einbettung von sozialen Problemlagen und Unterstützungsformen" in die Überlegungen zu Transmigrationsprozessen. Die aus der anglophonen Diskussion eingebrachten Aspekte von "social development", im Sinne von lokaler und globaler sozialer Entwicklung, sowie "civil society", als demokratische, politische Handlungsermächtigung und -befähigung der Bürger, verweisen auf die Notwendigkeit, im Diskurs um den Zusammenhang von Transnationalität, sozialer Unterstützung und agency auf die Aspekte der ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Eingliederung sowohl auf lokaler, mikroregionaler und nationaler, als auch auf transnationaler Ebene aufmerksam zu werden.

Als ein Schwerpunkt der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Transnationalität stellt sich die Transmigration heraus, und zwar sowohl, um Formen der sozialen Unterstützung und agency für die Transmigrantinnen und -migranten zu entwickeln und zu praktizieren, als auch die vielfältigen, grenzüberschreitenden, familialen, sozialen, ökonomischen, organisatorischen, religiösen, kulturellen und politischen Beziehungen und Kontakte der Eingewanderten für die Integration und die interkulturelle Zusammenarbeit zu beachten und zu nutzen. Dabei können transnationale Organisationen, NGOs, Selbsthilfe-Einrichtungen und Netzwerke hilfreich und nützlich sein.

Für die weiteren, notwendigen Forschungsaktivitäten zur Transnationalität, sozialen Unterstützung und agency sind die auf 17 Seiten aufgeführten und alphabetisch geordneten Literaturangaben wichtig und hilfreich. So ist der Baustein, den das Autorenteam als Bändchen 28 in der mittlerweile auf 130 Bände angewachsenen, von Hamid Reza Yousefi, Klaus Fischer, Ram Adhar Mall, Jan D. Reinhardt und Ina Braun herausgegebenen Interkulturellen Bibliothek vorlegt, ein Diskussionsbeitrag zur interkulturellen Orientierung in der sozialwissenschaftlichen Forschung, Lehre und Praxis.

Dr. Jos Schnurer, Hildesheim


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